VGH Fotopreis Gewinnerin 2016

Marlena Waldthausen: brothers

Kurz gefasst

Die Zwillinge Jörg und Rolf Fischer verbindet ein besonderes Schicksal: Sie sind taub geboren und auf Grund einer schweren Diabetes im Laufe ihres Lebens erblindet. Daher erleben sie die Welt anders als die meisten Menschen. Und das macht ihre Beziehung so einzigartig: Weil sie mit ihrer Umwelt nur schwer kommunizieren können, unterstützen sie sich gegenseitig im Alltag und haben eine eigene Sprache und Humor entwickelt.

Jörg ist inzwischen blind. Rolf, der noch einen geringen Sehrest hat, versucht seinen taubblinden Bruder daher so gut es geht zu unterstützen. Beim Gehen führt er ihn, auch wenn er selbst den Weg oft schon nicht mehr sehen kann und übersetzt für Jörg, wenn es etwas zu lesen gibt, auch wenn es ihm große Mühe bereitet. In Deutschland leben etwa 8.000 taubblinde Menschen. Viele leben aufgrund der doppelten Sinnesbehinderung isoliert in ihrer eigenen Welt und können nur schwer Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen. Bei Rolf und Jörg ist das anders: Sie waren seit ihrer Geburt fast nie voneinander getrennt. Seit 2012 leben die beiden gemeinsam im Deutschen Taubblindenwerk Fischbeck, einer speziellen Einrichtung für mehrfachbehinderte taubblinde und hörsehbehinderte Menschen.

Rolf lässt sich von Jörg bei der wöchentlichen Schwimmtherapie durchs Wasser schieben. Die letzten 20 Minuten können sie selbst entscheiden, wie sie sich im Wasser entspannen wollen. Seit ihrer Geburt waren die beiden nie lange getrennt.
Jörg freut sich über eine kurze Pause beim Krafttraining. Einmal pro Woche muss er zum Sport. Oft hat er keine Lust sich zu bewegen und würde lieber in die Werkstatt gehen.
So oft es möglich ist, besuchen Jörg und Rolf ihre Eltern. Zuhause hat jeder eine eigene Wohnung, wobei Jörg nur noch den unteren Bereich seiner Wohnung nutzt. Ins Schlafzimmer führt eine steile Wendeltreppe, die er auf Grund seines amputierten Beines nicht mehr benutzen kann.
Jörg kitzelt Rolfs Füße im Schwimmbecken. Anschließend wird gewechselt und Rolf kitzelt Jörgs Fuß. Oft schlagen zärtliche Gesten in ruppiges, liebevolles Necken um.
Rolf führt Jörg. Wenn es hell ist, reicht Rolfs Sehkraft, um bekannte Wege zu finden. In der Dunkelheit benötigen sie Hilfe, einen Blindenstock möchten sie aber nicht benutzen.
Rolf liebt die Hunde der Reittherapeutin. Jörgs und Rolfs eigener Hund Bobby starb, kurz bevor sie nach Fischbeck in die Einrichtung zogen.
Mittagessen bei den Eltern. Vor seiner Pensionierung hat Herr Fischer als Koch beim Roten Kreuz gearbeitet. Auch Rolf hat dort in der Küche geholfen, als er noch besser sehen konnte.
Jörg übt an der Blindenschreibmaschine. Seine Eltern haben ihm dafür ein Steckbrett gebastelt, auf dem sie ihm die Buchstaben vorstecken, so kann Jörg sie abfühlen.
Jörg soll seine eigene Wasserschüssel holen. Einfache Aufgaben, die mittlerweile zum Problem werden, führen oft zu großer Frustration.
Oft macht es den Eindruck, als ob Jörg mit den Augen das Licht sucht. Große Unterschiede zwischen Hell und Dunkel kann er noch erkennen.
Wenn die Zwillinge das Wochenende bei ihren Eltern verbringen, werden sie Montag morgens im Taxi zurück nach Fischbeck gefahren. Sobald sie im Auto sitzen, schlafen sie ein und wachen immer auf derselben Höhe der Strecke wieder auf.
Jörg kann auf Grund seiner Prothese die Wohnung im Haus seiner Eltern nicht mehr richtig bewohnen und schläft deshalb zusammen mit Rolf in dessen Schlafzimmer. Den Vorschlag, sich ein großes Bett zu teilen, lehnten sie ab, da jeder der Überzeugung war, der andere würde ihn sonst nachts unentwegt treten.
Jörg und Rolf gebärden, wie die meisten Taubblinden, taktil. Sie nehmen sich beim Gebärden an die Hand, so kann der andere die Gebärden nachfühlen. Über die Jahre haben sie ihre eigenen Gebärden entwickelt. Außenstehende können ihre Unterhaltungen oft nicht verstehen.
Die Eltern von Jörg und Rolf haben sich das Lormalphabet auf je einen Handschuh gemalt. Das Lormalphabet wurde 1881 von Hieronymus Lorm entwickelt, um die präzise Kommunikation mit und zwischen Taubblinden zu ermöglichen. Dabei wird entsprechend der Symbole über die Handfläche geklopft und gestrichen.
Beim Essen legen Jörg und Rolf die Hände auf die Tischplatte, um Vibrationen wahrzunehmen. Wenn ihre Mutter die Teller reicht, klopft sie vorher auf den Tisch. So macht sie auf sich aufmerksam.
Um Kostüme für Karneval zu kaufen, sind die beiden mit zwei Betreuern nach Hannover gefahren. Jörg ist traurig, dass es kein Hundekostüm gibt.
Oft stehen Jörg und Rolf auf dem Gang vor ihren Zimmern und albern herum. Dabei ziehen sie sich an den Ohren, schieben sich im Rollstuhl umher oder tun so, als würden sie umfallen oder sich gegenseitig die Finger abbeißen.
Jörg und Rolf warten im Wintergarten ihrer Eltern auf Besuch. Der Wintergarten wurde auf Rolfs Vorschlag gebaut, als ihre Mutter aus Altersgründen den Garten nicht mehr pflegen konnte.
Beim Pizzabacken hilft Rolf Jörg ein Glas zu öffnen. Wenn die beiden das Wochenende ausnahmsweise in Fischbeck verbringen, kochen sie gerne.
Familienurlaub in Stralsund. Einmal im Jahr geht es mit den Eltern in den Urlaub, früher mitunter nach Mallorca. Durch den verschlechterten Gesundheitszustand aller Familienmitglieder sind die Ziele inzwischen etwas näher.
Bei einem Besuch im Museum faszinieren besonders die Lichtreflexe im Diskoraum.

Marlena Waldthausen

1987 geboren in Schorndorf bei Stuttgart

2007 Abitur

2008 – 2012 Regionalstudien Lateinamerika Universität zu Köln

seit 2012 Fotojournalismus und Dokumentarfotografie Hochschule Hannover

www.marlenawaldthausen.de 

Der VGH Fotopreis

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