Anton Vester: Ohnmächtige Stille

VGH Fotopreis Gewinner 2024

Anton Vester überzeugt in diesem Jahr mit seinem Projekt "Ohnmächtige Stille" die VGH Fotopreis Jury. Das Thema der Organspende, das in aktuellen Debatten eher wenig präsent ist, obwohl in Deutschland rund 8.400 Patient*innen auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen und die Spendenbereitschaft der Deutschen nach wie vor zurückhaltend ist. Anton Vester gelingt eine berührende fotografische Porträtarbeit, die nicht den Erfolgsmoment der Transplantation erzählt, sondern die Lebenswelt der Menschen. In einer beeindruckend behutsamen Annäherung beleuchtet Anton Vester intensiv und persönlich die Situation der Menschen hinter den Zahlen, deren Leben durch Warten bestimmt ist. Sie hoffen und warten auf eine neue Niere, ein neues Herz, auf ein neues Leben – manchmal warten sie jahrelang und manchmal müssen die Menschen sterben, bevor ihre Hoffnung erfüllt wird. 

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26. April 2023, Parkplatz Dialysezentrum Geislingen, 1 Uhr nachts. Yvonne Zacher, 27 Jahre, Betroffene einer unklaren Kollagenose, einer Autoimmunerkrankung, die ihre Niere angreift. Zacher arbeitet als Krankenpflegerin und muss drei Mal wöchentlich dialysieren, über fünf Stunden lang.
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6. Mai 2023, Glückstadt. Lutz Riewe während eines Mittagsschlafs mit seinem Hund im Wohnzimmer. Auf seinem Youtube-Kanal spricht er sehr offen über seine Leberzirrhose und Panikattacken. Die erste Transplantations-OP scheiterte.







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Text Lutz Riewe
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13. April 2024, Peine. Jakob und seine Mutter Sonja Baumgarte in ihrer Wohnung. Aufgrund einer pulmonalen arteriellen Hypertonie steht der 8-jährige Junge kurz vor der Aufnahme auf die Warteliste für eine neue Lunge. Einmal im Jahr fahren sie in den Urlaub in ein Kinderhospiz.
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13. April 2024, Peine. Jakob zeigt seine Perlenkette, die er bei seiner Geburt im Krankenhaus bekommen hat. Jede Perle steht symbolisch für einen Tag im Krankenhaus.
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Text Sonja Baumgarte
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13. April 2024, Peine. Jakob und sein kleiner Bruder erkunden den Park und verlieren sich beim Spielen. Jakob geht voraus. Sie sind ein Team, in dem der große Bruder die Richtung vorgibt.
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Text Alexander Brucker
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2. April 2024, Benningen. Alexander Brucker liegt jetzt regelmäßig auf seiner Couch und telefoniert per Video mit seinen beiden Töchtern. Das frisch gestochenen Tattoo auf seinem linken Arm markiert ihn als Organspender.
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4. Juni 2024, Benningen. Alexander Brucker wohnt im 3. Stock. Sein Herz, das wegen einer Insuffizienz nicht mehr richtig arbeitet, stößt regelmäßig an seine Grenzen. Schon mehrfach ist er im Treppenhaus zusammengebrochen. Obere Narbe: Defibrillator-Operation, untere Narbe: Sonden-Operation.
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20. Juni 2023, Birkenfeld im Enzkreis. Silvia Acar kümmert sich um die abendliche Protokollführung ihrer Medikation, kämpft mit chronischer Müdigkeit und steht kurz davor aufgrund ihrer Nierenschwäche gelistet zu werden.
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Text Silvia Acar
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4. Juni 2024, Birkenfeld im Enzkreis. Der Schatten eines Adlers (Vogelschutz Aufkleber am Fenster) fällt auf Silvia Acars Vorhang. Die Mutter von zwei Söhnen sehnt sich nach Freiheit und Leichtigkeit. So gerne würde sie für ihre Kinder da sein. Im Alltag ist sie jedoch auf ihre Unterstützung angewiesen.
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26. Mai 2024, Paulinenkrankenhaus Berlin. Von Geburt an lebt Jennifer Krienke mit einem Herzfehler. „Im Laufe meines Lebens widersetze ich mich öfter ärztlichen Ratschlägen in dem ich deutlich aktiver war als sie mir empfahlen. Laut vieler Ärzten habe ich meine Lebenserwartung schon überschritten.“
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Text Jennifer Krienke
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25. Mai 2024, Paulinenkrankenhaus Berlin. Astrid Gruschke ist 24 Stunden am Tag auf künstlichen Sauerstoff angewiesen. Bedarf steigend, denn ihre Lunge baut ab. Die Innenarchitektin, die seit 3 Monaten stationär aufgenommen ist, darf das Krankenhausareal nicht mehr verlassen.
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Text Astrid Gruschke
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11. Mai 2024, Paulinenkrankenhaus Berlin. Alisa Gilmutdinova blickt seit über einem Jahr jeden Abend auf die Wand in ihrem Patientenzimmer. Damit ist sie die älteste Wartelistenpatientin auf Station 2. Den Teddy hat sie von einer Freundin und ehemaligen Zimmernachbarin geschenkt bekommen.
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11. April 2024, Paulinenkrankenhaus Berlin. Alisa Gilmutdinova wartet auf ein neues Herz und eine neue Lunge. Die Notwendigkeit von zwei passenden Organen stellt eine medizinische Herausforderung dar. Und sie führt dazu, dass Gilmutdinova besonders lange warten muss.
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11. April 2024, Paulinenkrankenhaus Berlin. Ihre Fingernägel zeigen bereits Anzeichen von Trommelschlägelfingern, verursacht durch Sauerstoffmangel im Zusammenhang mit ihrer Lungenerkrankung. Der Engel trägt sie durch die schwere Zeit.
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Text Alisa Gilmutdinova
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26. April 2024, Osnabrück. Svenja Wilms enge Beziehung zu ihrer Halbschwester Araya ist geprägt durch das Bewusstsein der Endlichkeit. Svenja, die in Folge einer Autoimmunerkrankung eine Leberzirrhose diagnostiziert bekam, ist auf eine neue Leber angewiesen. Für die Leber gibt es keine Ersatztherapie.
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26. April 2024, Osnabrück. Im Eingangsbereich von Svenja Wilms Wohnung steht ihr Koffer, er ist vorgepackt für den nächsten Anruf. Den Anruf für ein Organangebot.
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Text Svenja Wilms
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24. Juni 2023, Zuhause bei Familie Dahlmann, Berlin. Nach dem Abendessen dürfen Levi, 8 Jahre und sein kleiner Bruder die Fernsehsendung „Sandmann“ schauen. Levi sitzt auf dem Schoß seines Vaters. Am rechten Augenrand hat er vom Spielen einen blauen Fleck davongetragen, die bei ihm durch die Einnahme von Blutverdünnern besonders schnell entstehen. Kurz nach seiner Geburt wurde bei ihm ein Herzfehler festgestellt.
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Text Jenny Dahlmann (Mutter Levi)
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6. April 2024, Goddelsheim. Norbert Hühner macht Pause während eines einstündigen Rücken-Intervalltrainings. Weil er schon lange an einer Lungenfibrose leidet, ist er auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen.
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Widmung
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1. Juli 2024. Der Ehemann Mario Krienke schrieb über das Handy seiner Frau: „Jenny ist leider am 23.6.24 verstorben und bekam Gehirnblutungen.“ Wie sich später herausstellte, befand sie sich bereits in der Transplantations-OP, die vermutlich zu spät kam. Traueranzeige aus der Märkischen Oderzeitung.
Porträt Anton Vester

Anton Vester (Foto: Betty Einhaus)

Anton Vester

Vita:

Anton Vester wurde 1996 in Baden-Württemberg geboren. Nach einer beruflichen 180-Grad-Wende vom Polizisten zum Fotografen realisierte er 2019 erste Projekte in Sri Lanka, Malaysia, Griechenland und Äthiopien. Seit 2021 studiert Anton Vester im Studiengang ›Visual Journalism and Documentary Photography‹ an der Hochschule Hannover.

2023 absolvierte er eine sechsmonatige Fotohospitanz bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Neben Auftragsarbeiten setzte er dort auch eigene Projekte um.

Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf den sozialen und psychischen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Die Offenheit gegenüber neuen Lebensrealitäten und das Interesse an tiefgehenden Begegnungen zeichnen seine Arbeitsweise aus.