Jana Mai: Weil ich schon immer James war

VGH Fotopreis Gewinnerin 2023

Jana Mai überzeugt in diesem Jahr mit ihrer Serie "Weil ich schon immer James war", einem einfühlsamen Porträt eines jungen trans Mannes. Schon auf den ersten Blick spürt man das Vertrauen, das sie über Monate hinweg zum Protagonisten aufgebaut hat. Sie nimmt uns mit in private und familiäre Räume, zu Freund*innen und in das professionelle Umfeld von James als Musiker. Er ist auf jedem Bild zu sehen, und dennoch gelingt es dieser Arbeit, spannend zu bleiben und die verschiedenen Facetten seines Lebens zu beleuchten. Selbst die intimsten Momente begleitet Jana Mai respektvoll mit ihrer Kamera. Die Bildbeschreibungen nutzt sie, um auch James selbst zu Wort kommen zu lassen – sie reflektieren ihren fotografischen Blick. James' Lebenserfahrungen sind individuell, seine Geschichte ist einzigartig. Zugleich befasst sich die Arbeit mit zwei Themen, die aktuell und relevant sind und bleiben: Identität und Selbstbestimmung.

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James: Wenn ich den Binder trage, fühle ich mich sicher, weil ich weniger Angst habe, dass jemand meine Brust durchschimmern sehen könnte. Auf der anderen Seite fühle ich mich aber auch eingeschränkt, weil er eng ist und je nach Aktivität Druckstellen hinterlässt. Vor allem im Sommer und beim Sport ist er eine große Belastung. Eine, die ich auf mich nehme, um überhaupt im T-Shirt rumlaufen und Sport treiben zu können.

Jana: Ein zentrales Bild meiner Arbeit ist das Portrait von James mit einem Brustbinder, mit dem er sich täglich teilweise unter Schmerzen die Brüste abbindet.

Portrait von James in seinem WG-Zimmer // Hannover
Portrait von James beim Klavierspielen
James: Klavierspielen und Musizieren allgemein verkörperte für mich schon immer einen Rückzugsort. Egal in welcher Gefühlslage ich mich gerade befand, ich wurde stets aufgefangen und hatte die Möglichkeit mich auszudrücken. Manchmal mit, manchmal ohne Worte.

Jana: Der Umzug nach Hannover und die Aufnahme seines Musikstudiums waren Meilensteine in James‘ Leben. Sie ermöglichten es ihm nicht nur, künstlerisch zu wachsen und sich frei zu entfalten, sondern waren auch von enormer Bedeutung für seinen emotionalen und emanzipatorischen Prozess.

Portrait von James beim Klavierspielen im Richard Jakoby Saal der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover // Hannover
James mit Mareike, einer Kommilitonin, beim Tanzkurs
James: Bei meinem ersten Tanzkurs, nah zu Schulzeiten, musste ich darum kämpfen, als Junge teilnehmen zu dürfen, weil man mir nicht zugetraut hat, eine Tanzpartnerin zu finden. Damals hat mich das sehr verletzt, aber jetzt kann mir alles egal sein, weil mir sowieso niemand mehr vorschreiben kann, was ich angeblich nicht kann. Jetzt mache ich einfach und lass mich nicht mehr beirren.

Jana: Tanzen und andere Freizeitaktivitäten sind für James ein enorm wichtiger Ausgleich zum Alltagsstress, dem er aufgrund seines dichten Kalenders ausgesetzt ist. Gerade die Begegnungen mit vertrauten Menschen geben ihm großen Rückhalt.

James mit Mareike, einer Kommilitonin, beim Tanzkurs Standard/Latein // Hannover
James beim Besuch bei seiner Gynäkologin
James: Ein Arztbesuch ist für mich immer eine Überwindung. Mittlerweile ist es besser geworden, weil ich für meine Transition nun mal einige Termine diesbezüglich wahrnehmen muss. Ein Besuch bei meiner Gynäkologin ist und wird vermutlich immer eine Herausforderung für mich darstellen, auch wenn die eigentliche Untersuchung dann meist ziemlich harmlos ist.

James beim Besuch bei seiner Gynäkologin // Hannover
James unter Musik-Kommiliton*innen

James: Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, geht es nicht mehr darum, wer ich bin. Ich muss nichts mehr beweisen oder gesellschaftlichen Normen entsprechen. Ich kann einfach existieren, und das ist mit das Erholsamste für mich überhaupt.

Jana: James hat das große Glück, ein Umfeld gefunden zu haben, das ihn bedingungslos akzeptiert. Auch wenn dies nicht in allen Lebensbereichen und bei allen Menschen in seinem Leben der Fall ist, erfährt er wahre Anerkennung und Unterstützung.

James unter Musik-Kommiliton*innen auf einer Geburtstagsfeier // Hannover

James vor seiner Hochschule
James: Warum mache ich das? Eigentlich kann ich diese Frage nicht beantworten, weil es eine, für mich typische, Kurzschlussreaktion meines Gehirns war. Meine Freunde würden vermutlich sagen, dass ich wohl wieder meine fünf Minuten hatte. Was soll ich sagen, sie haben absolut recht.

James vor seiner Hochschule // Hannover
ames bei seiner ersten Nassrasur
James: Als ich meine ersten Barthaare im Spiegel entdeckt habe, war ich mehr als nur gehyped. Das war der erste Moment, in dem ich so richtig realisiert habe, dass das Testosteron wirkt und dass mir das niemand mehr wegnehmen kann!

Jana: Manche Männer empfinden das Rasieren als äußerst lästig, während andere wiederum die ritualisierte Rasur als etwas Gutes betrachten. James muss noch herausfinden, zu welcher der beiden Gruppen er gehört.

James bei seiner ersten Nassrasur // Hannover
Portrait von James in einem Klassenzimmer
James: Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, dann überwiegen definitiv die positiven Erinnerungen. Ich hatte das Glück, Teil einer Klasse zu sein, welche die Phasen meines Outings, mit Namenswechsel und Pronomen, kommentarlos akzeptiert und begleitet hat. Des Weiteren hatte ich tolle Lehrer:innen, welche mich stets unterstützt haben und es teilweise auch heute noch tun. Für mich ist es daher immer wieder schön, an meine Schule zurückzukehren.

Jana: Zwei Jahre nach seinem Abitur kehrt James zurück in seine ehemalige Schule. Es ist der Ort, an dem sein Weg der Transition begann und sein ehemaliger Geografielehrer ihn besonders unterstützte, als er sich gegenüber seinen Eltern outete. Wie fühlt es sich für James an, wieder an diesem Ort zu sein, der den Anfang seiner Transition markierte?

Portrait von James in einem Klassenzimmer in seiner ehemaligen Schule // Oberbayern
James beim Schwimmen bei Vollmond
James: Schwimmen gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Freiheit, die mir mit Beginn des Brustwachstums verloren gegangen ist, weil ich meinen Körper, selbst im Wasser, begonnen habe zu verstecken. Mich zu verstecken. Wenn ich das Bild anschaue, dann werde ich mit der Realität konfrontiert. Ich sehe aber mittlerweile eine Realität, für die ich mich nicht mehr schämen möchte! Ich bin dankbar, dass ich durch das visuelle Festhalten dieses Moments diese Erkenntnis gewinnen durfte.

James beim Schwimmen bei Vollmond // Hannover
James während eines Besuchs in der Elbphilharmonie
James: Auf diesem Bild erkenne ich einen jungen Mann mit einem glücklichen Gesichtsausdruck, der eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlt. Dass ich das selber von mir sehen kann, ist einfach unbeschreiblich, weil ich es nie für möglich gehalten hätte, das mal so ausstrahlen, geschweige denn empfinden zu können.

James mit seiner Duo-Partnerin Charlotte während eines Besuchs in der Elbphilharmonie // Hamburg
James beim Abschlusskonzer
James: Wenn ich für ein Konzert meinen Anzug anziehe, dann erinnere ich mich meist sofort zurück an den Moment, als ich vor fünf Jahren meinen ersten endlich bekommen habe. Vielleicht fühle ich mich deshalb darin so wohl und irgendwie stark. Einfach, weil ich so lange für ihn kämpfen musste. Ich weiß, dass es „nur“ ein Kleidungsstück ist. Für mich repräsentiert es aber auch einen Befreiungsschlag meines jüngeren Ichs.

Jana: Musik ist ein zentraler Bestandteil im Leben von James. Egal ob als Ausgleich oder Ruhepol, sie nimmt in seinem Leben viele Facetten ein.

James beim Abschlusskonzert der Chor- und Orchesterphase „Joseph Haydn: Die Schöpfung“ im Richard Jakoby Saal der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover // Hannover
James beim Training
James: Sport hilft mir nicht nur, den ganzen Alltagsstress abzubauen, er erleichtert mir auch den Weg, den eigenen Körper akzeptieren zu lernen. Durch Testo baue ich deutlich schneller Muskeln auf, was nicht nur meinen Körperbau maßgeblich beeinflusst, sondern auch meine Motivation für Bewegung hochhält.

Jana: James ist immer in Bewegung, voller Energie und Tatendrang. Sport spielt eine herausragende Rolle in seinem Leben, denn es ermöglicht ihm, seinen Geist abzuschalten und sich körperlich auszupowern. Neben seinen zahlreichen Freizeitaktivitäten ist Sport für ihn von besonderer Bedeutung.

James beim Training in der Eilenriede // Hannover
Portrait von James
James: Krass, bin ich das? Genau das habe ich mich beim ersten Betrachten gefragt, gefolgt von einem Gefühl der Freude und des Stolzes, dass ich die Veränderung jetzt auch selber wahrnehmen kann.

Portrait von James // Oberbayern
Portrait von James in seinem alten Kinderzimmer
James: Mein Kinderzimmer ist wohl der Ort, an dem ich die mit besten und schlechtesten Phasen meiner Jugend durchlebt habe. Es strahlt Vertrautheit aus und erinnert direkt an zuhause und meine Eltern. Eltern, welche mich bei allem unterstützt haben. Nur hinter meiner Identität konnten sie nicht richtig stehen, was immer als Schatten für mich sichtbar bleiben wird. Er verblasst, wird aber nie ganz verschwinden.

Jana: Jedes Mal, wenn James seine Eltern besucht, erlebt er eine emotionale Anspannung. Sie steht für einen nur schwer zu besprechenden Konflikt, bei dem seine wahre Identität am liebsten verschwiegen und ignoriert wird. Diese Situation stellt für James und seine Eltern eine immense emotionale Belastung dar.

Portrait von James in seinem alten Kinderzimmer // Oberbayern
James beim Duschen
James: Im Dunklen zu duschen gehörte für mich früher zum Alltag. Es war beinahe unvorstellbar, sich jedes Mal dem eigenen Anblick auszusetzen. Dunkelheit war dann die einfachste und schnellste Lösung. Seit ich Testo bekomme, ist es deutlich einfacher für mich. Mein Körperbau ändert sich nach und nach, wodurch ich beginne, mich selber in / an mir zu sehen.

James beim Duschen // Oberbayern
James mit seinen Schulfreunden
James: Wie sehen meine Freunde mich eigentlich? Wir haben früher nie über mein trans Sein gesprochen. Es war einfach nicht wichtig, weil es für unsere Freundschaft keinen Unterschied gemacht hätte. Selbst heute ist es nur im Hintergrund vertreten. Ich bin dankbar, dass ich damals schon auf eine derartige Akzeptanz gestoßen bin. Denn diese hat mir letztendlich ermöglicht, mich selbst zu finden.

Jana: James schafft es nicht immer, bei Besuchen in seiner Heimat seine Schulfreunde zu treffen, mit denen er immer noch ein gutes Verhältnis pflegt. Gleichwohl sieht man, dass sich die unterschiedlichen Gruppen auch unterschiedlich voneinander entwickeln.

James mit seinen Schulfreunden // Oberbayern
James beim Besuch seiner Ersatz-Oma Bogo
James: Tatsächlich wusste ich vor diesem Projekt gar nicht, wie Bogo zu meiner Transidentität steht. Dementsprechend gerührt und überwältigt war ich dann auch von ihrer Offenheit und Zuneigung mir gegenüber. Danke!

James beim Besuch seiner Ersatz-Oma Bogo // Oberbayern
Portrait von James beim Wandern
James: Innere Ruhe und Zufriedenheit, zwei Dinge, mit denen ich mich im Alltag schwertue. Umso dankbarer bin ich dann für solche Momente in den Bergen, wo man alles mal mit etwas Abstand betrachten kann.

Jana: Ich freue mich, dich so glücklich und zufrieden zu sehen!

Portrait von James beim Wandern // Oberbayern

Videoportrait Jana Mai: Weil ich schon immer James war

Jana Mai

Vita:

  • 1989 in einer kleinen Siedlung in der Nähe der ehemaligen kasachischen Hauptstadt Almaty geboren
  • aufgewachsen in Deutschland
  • bis Sommer 2023 Studium Visual Journalism and Documentary Photography (BFO) an der Hochschule Hannover
Jana Mai (Foto: Frederike Finster)

Stipendien und Auszeichnungen

  • 2023 | STERN Junge Fotografie - Stipendium
  • 2022 | TruePicture 2022 | Nominiert
  • 2021 | The Emerging Photographer Fund 2021 | Finalistin
  • 2021 | KASSEL DUMMY AWARD 2022 | Shortlist
  • 2021 | WORLD.REPORT AWARD | DOCUMENTING HUMANITY 2021 | „Student Award“ Gewinnerin
  • 2021 | Felix Schoeller Photo Award | Beste Nachwuchsarbeit | Shortlist
  • 2019 | VGH-Fotopreis | Finalistin

Ausstellungen

  • 2023 | »Abschlussarbeiten 2023|02« | Gruppenausstellung | GAF – Galerie für Fotografie | Hannover
  • 2023 | Cascina Roma Fotografia | Gruppenausstellung | San Donato Milanese, Italien
  • 2023 | World Press Photo Ausstellung 2022 | Matinee | Oldenburg
  • 2023 | FIRST PAGES | Gruppenausstellung | Rautenstrauch-Joest-Museum | Köln
  • 2022 | Festival of Ethical Photography | Gruppenausstellung | Lodi, Italien
  • 2022 | Ancona Photo Festival | Gruppenausstellung | Ancona, Italien
  • 2021 | Festival of Ethical Photography | Gruppenausstellung | Lodi, Italien
  • 2019 | VGH-Fotopreis | Gruppenausstellung | GAF – Galerie für Fotografie | Hannover
  • 2017 | Polizei. Täglich. Technik | Gruppenausstellung | Kulturhalle Faust | Hannover
  • 2016 | Die Provinz – aus neuer Sicht | Gruppenausstellung | Pix.House – Ort für Fotografie | Poznan, Polen
  • 2015 | Linden Leben | Gruppenausstellung | Kulturhalle Faust | Hannover

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